Drachentöter ohne Drachen

Es war einmal ein Junge, der lebte in einem kleinen Dorf. Eines Tages las ihm seine Mutter die Geschichte vom Drachen vor und er wusste mit einem Schlag: Er wollte Drachen töten. Das war es wofür er leben wollte.

Alle anderen Dorfbewohner lachten über ihn. In ihrem Dorf gab es überhaupt keine Drachen. Eigentlich glaubten sie gar nicht so wirklich an Drachen und schon gar nicht, dass jemals jemand aus ihrem Dorf einen Drachen töten würde. Doch der Junge wusste es so tief in seinem Herzen, dass er sich davon nicht beirren lies. Immer wieder fragte er seine Mutter nach den Drachen. Nach dem Land wo die Drachen lebten. Wie sie lebten. Und schließlich erzählte ihm seine Mutter von einem Ort, wo es angeblich Drachen gab und gestattete ihm sich auf den Weg dorthin zu machen. Der Junge, der inzwischen schon fast ein junger Mann geworden war, packte seine Sachen und machte sich auf um die Drachen zu finden. Es war eine schwierige Reise aber sie brachte ihn an sein Ziel.

Für ihn war der Ort an dem er landete das Paradies. Die Menschen dort lebten mit den Drachen. Sie gehörten einfach dazu. Es gab kleine, zahme Drachen, die im Dorf lebten und mit denen die Kinder spielten. Es waren ungefährliche, unschuldige Kämpfe.

Aber es gab auch viele große Drachen, die rund um das Dorf ihr Unwesen trieben. Sie erfüllten die Bewohner mit Angst und Respekt und großer Ehrfurcht. Und nur die Tapfersten und die Stärksten wagten es sich ihnen entgegenzustellen und mit ihnen zu kämpfen.

Schon bald wurden die Männer auf den Jungen aufmerksam, der nichts anderes kannte als die Drachen. Die Drachen waren nicht nur ein wichtiger Teil seines Lebens. Sie waren sein Leben. Er wollte nichts anderes als ihnen gegenüber zu stehen. Und so nahmen sie ihn in die Lehre und zeigten ihm alles, was sie wussten. Und schnell war er es, der mehr über die Drachen und wie man gegen sie antrat, wusste als irgendjemand anderer. Er zog weiter und entdeckte immer neue Orte mit ihm unbekannten Untieren, die eine Zeitlang seine Neugier weckten und ihn herausforderten. Doch schnell meisterte er auch sie und zog weiter. Immer auf der Suche nach noch größeren und noch gefährlicheren Drachen. Schließlich kam er in ein Land, das wie ausgestorben wirkte. Die Dörfer waren leer. Die Felder und Wiesen rund um ihn waren verbrannt und es war furchtbar still. Er zog Tage durch das immer wieder selbe Szenario bevor er die erste Menschenseele traf. Und dann erfuhr er die unglaubliche Geschichte, des Drachen, den niemand zu bekämpfen wagte. Der größer war als alle anderen Drachen der Welt. Gefährlich und rücksichtslos. Und unerbittlich. Alle, die versucht hatten, ihn zu töten, waren gestorben. Die Dorfbewohner waren geflohen oder hatten sich unter die Erde zurückgezogen, von wo sie nur selten an die Oberfläche gingen, um Nahrung zu holen oder weil sie es ohne die Sonne nicht mehr ertragen konnten.

Der Drachentöter spürte, dass hier der Ort seiner Bestimmung war. Hierfür war er geboren worden. Er würde diesen Drachen töten. Die nächsten Jahre widmete er der Jagd. Immer wieder schaffte er es kleinere und jüngere Tiere zu töten. Und einige Male hatte er den großen, alten Drachen schon gesehen. Und er wusste, dass er es schaffen konnte. Er setzte alles daran. Seine ganze Energie und Erfahrung und Kraft.

Eines Morgens war es soweit. Der Drachentöter hatte die Höhle des Drachens gefunden, er wusste wo und wie er ihm begegnen würde. Er machte sich auf den Weg. Und dann stand er ihm gegenüber. Doch plötzlich, noch bevor sie zu kämpfen beginnen konnten, fiel der Drache plötzlich in einen tiefen Schlaf. Und mit ihm alle Drachen im ganzen Land. Der Drachentöter versuchte ihn zu reizen. Ihn zu wecken. Ihn dazu zu bringen, doch noch gegen ihn zu kämpfen. Doch der Drache wachte nicht auf.

Der Drachentöter zog sich zurück. So konnte er den Drachen nicht töten. Dazu war er zu stolz. Er wartete. Hielt sich in Bereitschaft. Immer wieder ging er um nachzuschauen. Doch der Drache schlief. Tief und fest.

Die Bewohner des Landes kamen aus ihren Erdstätten an die Oberfläche und begannen langsam und vorsichtig wieder ihr Leben zu leben. Mit jedem Tag gewannen sie mehr Sicherheit und Zutrauen in dieses neue, friedvolle Leben.

Und langsam begann der Drachentöter sich unwohl zu fühlen. Die Bewohner fühlten sich unwohl mit ihm. Und er wurde des Wartens müde.

So brach er auf und kehrte nach Hause zurück. Das Dorf, in dem er geboren wurde, war beinahe unverändert. Die Geschichten, die er ihnen erzählte, konnten sie kaum glauben. Sie fanden sie unterhaltsam, aber sie konnten sie nicht verstehen oder fühlen. Schließlich hatten sie noch nie einen Drachen gesehen.

Der Drachentöter wurde traurig und einsam. Er wanderte im Dorf umher. Ohne Ziel, allein und ohne zu wissen, was er denn nun tun sollte. So traf er auf einen alten Mann. Der saß auf einer Bank und sah ins weite Tal unter dem Dorf. Als er den Drachentöter bemerkte, rutschte er ein wenig zu Seite und machte ihm Platz. Der Drachentöter setzte sich zu ihm. Lange saßen sie in Stille. Der Drachentöter fühlte wie Ruhe über ihn kam. Er konnte es nicht verstehen und beobachtete den alten Mann. Schließlich drehte sich dieser zu ihm um und fragte ihn: „Warum bist du so rastlos?“ Der Drachentöter antwortete: „Ich bin ein Drachentöter. Drachen sind mein Leben. Doch sie schlafen. Und ich weiß nicht mehr was ich tun soll. Ich war knapp davor den größten Drachen von allen zu töten. Jetzt bin ich ein Drachentöter ohne Drachen.“

Der alte Mann nickte und sah ihm bis auf den Grund seiner Seele. Dann sagte er: „Mein Junge. Der größte aller Drachen schläft nicht. Er ist aktiv und stark wie nie. Und du wirst alle Kraft und dein ganzes Wissen brauchen um ihn zu besiegen.“

Der Drachentöter sah ihn mit großen Augen an. „Aber wo alter Mann? Wo ist dieser Drache? Ich mache mich gleich auf und stelle mich ihm!“

Der alte Mann legte seine Hand beruhigend auf die des Drachentöters. Wieder sah er ihm lange und tief in die Augen und schließlich sagte er: „Der größte Drachen lebt in dir. Er speit Feuer, verbrennt und frisst alles andere was da ist. Und bald wird nichts mehr von dir übrig sein. Stell dich ihm und zeig ihm was in dir steckt.“

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