Niemand kennt deinen Weg

Es war ein wunderschöner Frühsommer-Tag. Warm und sonnig. Ich hab mir meine Laufsachen angezogen und beim Schuhe zubinden, hatte ich plötzlich die Eingebung heute mal anders zu laufen. Keine der gewohnten Strecken. Meine Freundin hatte mir am Tag davor ihren „Leistungsnachweis“ geschickt und dazu auch die Strecke, die sie absolviert hatte und irgendwie reizte es mich plötzlich die zu versuchen. Es würden ziemlich viele Höhenmeter werden und ich war seit meinem Lauf-Restart eigentlich nur flach gelaufen aber ich fühlte mich fit genug und der Weg würde mich durch den Wald führen. Ich lief also los und stellte mich der Herausforderung. Es war ein sehr besonderes Erlebnis. Alleine durch den Wald zu laufen verbinde ich mit vielen schönen Erfahrungen aus meiner Jugend und dazu vermittelt es einfach ein unglaubliches Gefühl von Freiheit. Dazu die Ruhe. Die Natur.

Ich muss gestehen ich hab mich sehr gequält. Die Steigung war nicht ohne und über eine recht lange Strecke. Aber ich habe es durchgestanden. Und der Moment als ich oben angekommen war und sich das Sausaler Hügelland vor mir ausbreitete war unbeschreiblich. Da war so viel Stolz und Zufriedenheit gepuscht mit dem Adrenalin eine ganz schön anregende Kombination. Ich hab es ausgiebig genossen und mich dann auf den Rückweg gemacht. Hinunter war fast anstrengender für mich und ich war froh dann in der Ebene noch gemütlich bis nach Hause auslaufen zu können.

In unserer Straße gibt es ein nettes kleines Haus, in dem ein sehr freundliches pensioniertes Pärchen wohnt. Vor diesem Tag war ich einige Male auf meinen kurzen Laufeinheiten dort vorbeigelaufen und jedes Mal haben sie mich freundlich gegrüßt und meist auch etwas Bestärkendes zugerufen so wie „Sehr fleißig.“ Oder „Du wirst ja immer schneller!“.

An diesem Tag war ich bereits wirklich erschöpft. Ich bin langsam vorbeigejoggt und die beiden haben mich wie bei den anderen Malen gegrüßt und die Frau hat mir zugerufen „Hoppauf, das geht doch normalerweise viel schneller!“ Ich war schon fast am Garten vorbei und wäre am liebsten stehengeblieben um etwas dazu zu sagen. Doch dann war mir das die Mühe nicht wert und ich bin weitergelaufen. Ich hab mich kurz geärgert, weil ich doch gerade an diesem Tag so stolz auf mich war. Doch dann ist mir bewusst geworden, dass die Bemerkungen der Beiden gar keine Relevanz haben. Sie wissen nicht ob ich mich angestrengt habe, oder ob es mir leicht gefallen ist. Ob ich mich zum Laufen überwinden musste oder mich schon den ganzen Tag drauf gefreut habe. Sie wissen nicht welchen Weg ich genommen habe. Welchen Weg ich gegangen bin. Niemand weiß das außer mir. Daher hat ihre Bemerkung, die mir in dem Moment wie eine Verurteilung vorkam, auch keinen Wert. Nur ich selber kann beurteilen wie fleissig, motiviert, schnell, langsam, oder was auch immer ich war.

Ich weiß das ist keine Raketenwissenschaft. Ich hatte das auch schon oft gehört. „Hör nicht auf die anderen. Nur was du selber denkst ist wichtig.“

Aber bis dahin hatte ich es nicht gespürt. In diesem Moment ist es in meine Zellen eingedrungen und mir ist klargeworden wie wahr und wie wichtig diese Erkenntnis ist. Nur ich kenne den Weg, den ich gegangen bin und kann es somit auch beurteilen. Es war sozusagen ein kleiner Moment der großen Erkenntnis.

Ein wenig später hab ich dann gelernt, wie wichtig es ist nicht über mich selbst zu urteilen oder besser gesagt, liebevoller mit mir zu sein. Aber das ist eine andere Geschichte.

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